Kontakte nach Peking und das Geheimnis eines
mittelalterlichen „Schönheitsideals“
Altchinesische Gin-Lien-Schuhe im Deutschen
Schuhmuseum Hauenstein
Foto: Susannah (Yonglin Liang) mit ihrem Hinterweidenthaler Freund
Dennis Vermeulen vor den Lotus-Schuhen
im Hauensteiner Museum
DIE RHEINPFALZ berichtete:
Mit ihrem chinesischen Mädchennamen heißt sie Yonglin Liang,
ihr aus Hinterweidenthal stammender Freund Dennis und ihre Bekannten nennen die junge hübsche Chinesin aus Kanton „Susannah“.
Susannah ist seit wenigen Tagen auch ehrenamtliche Mitarbeiterin des Deutschen
Schuhmuseums Hauenstein, das sie dieser Tage besuchte. Bei den museumseigenen Schätzen der
Gin-Lien-Schuhe (Lotusschuhe) geriet die
examinierte Fachfrau für Management ins Schwärmen und bot sich spontan an, in
ihrer Heimat, vor allem in Schuhmuseen in Peking und Shangai als ehrenamtliche Botschafterin des Hauensteiner
Museums tätig zu werden und Kontakte und Kooperationsmöglichkeiten vor allem zu
Schuhmuseen zu sondieren.
„So viele Gien-Lin-Schuhe wie hier habe ich noch nie
gesehen“, meinte die junge Chinesin inmitten der Abteilung „Schuhe der Welt“,
die sie vor allem auch in der großen Anzahl und Farbenpracht hier nicht vermutet hätte. In der Tat
besitzt die Hauensteiner
Tillmann-Sammlung etwa 100 Lotusschuhe,
„meines Wissens die größte Sammlung dieser besonderen Schuhe außerhalb Chinas“,
wie Ernst Tillmann (88) immer wieder
bestätigt. Museumsleiter Willy Schächter, der die junge Chinesin durch das
Museum führte: „Eigentlich sind wir im Besitz der größten Gin-Lien-Sammlung
außerhalb China, das verdanken wir einzig und allein Ernst Tillmann, dessen
Sammlung im Museum von 10 000 Exponaten
allein 3 888 Paar Schuhe aus aller Welt ausmachen“
Die Gin-Lien Schuhe sind bei jeder Museums-Führung ein ganz
besonderer Hingucker und die Erklärung der sozial- und kulturgeschichtlichen
Sammlung immer wieder auch Höhepunkte
des Museumsbesuchs. Susannah hat jetzt bei ihrem Besuch auch noch
weitere Deutungen und Erklärungen dieses
„Phänomens der gequälten Füße“ parat. „Meine Oma hat mir vieles erzählt, was
sie selbst von ihrer Oma erfahren hat über die farbenprächtigen Schuhwinzlinge, die rund 1000 Jahre das
Schönheitsideal der kleinen Füße in Chinas Oberschicht darstellte.
Obwohl die „gebundenen Füße“ bereits 1911 verboten waren,
die viele Jahrhundert ein „Vorrecht“ der
Prinzessinnen und reichen Mädchen repräsentierten, habe man
auch im kommunistischen China bis in die 80er Jahre dieses
„Schönheitsideal“ beibehalten: „Diese Frauen gehörten zu den sogenannten
reichen Familien und daher wurden sie im kommunistischen China sehr schlecht behandelt, weil sie nicht in
das Welt- und Kulturbild von Mao und der Kulturrevolution passten“, erweitert
Susannah das bisherige Wissensfeld über die Gin-Lien-Schuhe. Nach neuesten
Untersuchungen habe sich ergeben, warum Frauen die Tradition der gebundenen Füße
jahrhundertelang beibehalten hätten. Ein Grund sei gewesen, dass sie nur „reiche“ Männer heiraten konnten, wenn sie
sich den Schmerzen der gebundenen Füße unterwarfen. Susannah bringt das
Phänomen auf den einfachen Nenner: „Je höher der Status der Frau war, um so
enger und härter wurden ihre Füße unter großen Schmerzen klein gebunden“.
In einem ganz seltenen
noch erhaltenen Exemplar „Das
Buch vom Schuh“, das die Pirmasenser
Firma Rheinberger anlässlich des 75 jährigen Firmenjubiläums im Jahre 1957
herausgebracht hat und das im Besitz des Schuhmuseums Hauenstein ist, ist zu
lesen: „Es galt nicht nur als schön, sondern auch als sehr vornehm, wenn dem
kleinen Mädchen die Füße unter dem Rist geknickt wurden, dadurch blieben die Zehen klein, während die Fersenpartie
normal weiterwuchs“. Unter unsäglichen
Qualen, die das ganze Leben anhielten,
wurden die abgeknickten Füße mit Bändern
festgebunden, „immer enger und enger und in die reizendsten Gebilde aus bunter Seide gezwängt“,
beschreibt das wertvolle Schuhkulturbuch von Rheinberger dieses
„Schönheitsideal“. In vielen Fällen sei das so übertrieben worden, dass junge
vornehme Mädchen nur mühsam und auf
Dienerinnen gestützt im Haus ein paar Schritte machen konnten.
Es wird berichtet, dass
die jungen chinesischen Mütter und Großmütter aus der Oberschicht schon
lange vor Erreichen des vierten Lebensjahres der jungen Prinzessin große Ängste
hatten, weil sie der Tochter „der Schönheit wegen“ dieses Schmerzen zufügen
mussten. Für westliche China-Besucher bis zur Neuzeit war dieses
Schönheitsideal rational nicht nachvollziehbar. Ihre Einwendungen wurden oft
mit dem Hinweis abgetan: „Unsere Mädchen brauchen nicht zu laufen, sie werden
später in der Sänfte getragen“. Die
Museumsbesucher, welche die oft kunstvoll gestickten Winzlinge mit den
bunten Farben sehen, sind auch heute noch erschüttert, wenn sie sich
vorstellen, dass in diesen kleinen Schuhen
ohne Vorderpartie junge Mädchen
herumlaufen mussten, ganz abgesehen von den grausamen Schmerzen, weil das
„Binden“ mit nassen Leinentüchern stetig wiederholt wurde. Zuerst wurden die
Zehen gebrochen, dann verkrüppelte der Vorderfuß, oft ist außer einem Teil des
großen Zehs fast gar nichts mehr übrig geblieben.
Yonglin Liang („Susannah“) weiß ebenfalls von den großen
Schmerzen zu berichten, die diese winzigen Schuhe einstmals zum Schönheitsideal
junger vornehmer Mädchen ein Leben lang begleiteten. „Man erduldete diese
Qualen als Symbol der Schönheit für Schönheit, Schmuck und Sexualität, während
der Tang-Dynastie symbolisierten Werte
und Normen in der von Männern bestimmten Gesellschaft Chinas“.
Und zum Schluss der
noch mehr persönliche Aspekt der Geschichte, die von Hinterweidenthal und
Kanton über Sydney nach Hauenstein führte: Der junge Dennis Vermeulen (27) aus
Hinterweidenthal – er ist der Sohn von Peter Vermeulen- studierte u.a. auch in Sydney . Dort traf der junge Hinterweidenthaler mit
deutsch-niederländischen Wurzeln die junge Chinesin Susannah. Beide studierten
zwei Jahre im fernen Australien „Event
Management“, machten dort ihre Master-Examen und lernten sich auch näher
kennen. Dennis hat mittlerweile eine adäquate berufliche Position in München
gefunden und Susannah verbringt erstmals
einen dreimonatigen Besuch in Deutschland mit Schengen-Visum. „Für mich ist der
erste aber bestimmt nicht der letzte Besuch in Deutschland“, sagt die charmante
junge Chinesin.

Eintragung im Gästebuch in chinesisch und Englisch

Gin-Lien Schuhe, China, 19. Jahrhunder