Als das
Wirtschaftswunder „laufen“ lernte
Ludwig
Erhard und der „Jedermannschuh“
Vor allem Kinder und jüngere Besucher fragen immer
wieder nach dem „Jedermannschuh“, wenn sie das wertvolle Schuhexponat im
Deutschen Schuhmuseum sehen, das unter diesem Namen als besonderer Blickfang ausgestellt ist. Sie
wollen auch mehr über Ludwig Erhard (gestorben1977) erfahren, der diese Schuhe
als damaliger Wirtschaftsverantwortlicher
des „Vereinigten Wirtschaftsgebietes“ aus der Taufe gehoben hat, damit
alle Menschen nach sehr harten Nachkriegsjahren wieder über stabile Schuhe
verfügen konnten. Ludwig Erhard gilt als
Vater des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg, war
Wirtschaftsminister unter Konrad Adenauer und seit 1966 zweiter Bundeskanzler
der jungen Bundesrepublik
Mit dem „Jedermann-Schuh“ besitzt das Deutsche
Schuhmuseum Hauenstein eines von weltweit
wenigen Exemplaren, das ein Spiegelbild und ein Beispiel für das
Durchhaltevermögen und den Aufbauwillen nach dem Zweiten Weltkrieg darstellt:
Er ist ein bemerkenswerter Zeitzeuge der Nachkriegszeit und ist ab sofort im Bereich „Nachkriegszeit“ in einer
eindrucksvollen Vitrine ausgestellt.
Als das unser Land Rheinland-Pfalz 1947 in
schwerer Nachkriegszeit quasi aus der
Retorte heraus das Licht der Welt erblickte, war die Schuhindustrie in dieser klassischen
Region noch längst nicht aus dem Gröbsten heraus. Im Gegenteil: In Pirmasens
und Hauenstein herrschte allenthalben noch nachkriegsbedingte Starre,
Wirtschaftsdiktat der Sieger, Zerstörung der Fabriken, vor allem aber auch
Rohstoffmangel an allen Ecken und Enden. Im Frühjahr 1947 durften von rund 300
pfälzischen Schuhfabriken zunächst nur noch dreißig weiterarbeiten. Man sah aber dennoch schon
allenthalben Licht am Ende des Tunnels und die ersten großen
Pioniertaten in der Schuhindustrie
setzten aus der Not heraus hoffnungsvolle Zeichen, die den unbändigen
Willen zu einem neuen Anfang erkennen ließen.
„Nach dem Krieg bis eigentlich zur
Währungsreform war für alle mehr oder
weniger produzierenden Betriebe in erster Linie Phantasie und Rohstoff-Fuggern angesagt, Schuhe wurden
aus allen möglichen Restbeständen gefertigt“, erinnert sich der 78jährige
Herbert Johann. Es ringe ihm auch heute noch höchsten Respekt ab, mit wie viel
Erfindergeist damals aus allen denkbaren Materialien Schuhe gefertigt wurden.
„Schuhe sind auch Spiegelbilder von
Notzeiten“, doziert Ernst Tillmann (89)
aus Viersen, aus dessen Sammelbeständen das Deutsche Schuhmuseum Hauenstein
rund 3 900 Schuhe besitzt („Ernst-Tillmann-Sammlung im deutschen Schuhmuseum
Hauenstein“). „Ich bin heute noch beeindruckt, mit welcher Phantasie und
Kreativität Menschen gerade in Notzeiten aus allen möglichen Materialien Schuhe
herstellten, und dabei sich sogar
noch auf ästhetische Momente besinnen
konnten“.
Sammler Tillmann ist auch einer der ganz
wenigen Zeitgenossen, die sich in allen Einzelheiten an die „Jedermannschuhe“ erinnern können. „Es ist
ein Einzelstück im Hauensteiner Museum , den anderen Schuh habe ich für mich zurückgehalten, weil
Jedermannschuhe heute praktisch nicht
mehr zu finden sind“, sinniert Ernst Tillmann über diese
wirtschaftlich verordnete Schuhart von 1948, mit deren Existenz der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard eng verwurzelt ist. Es war am
1.und 16. Dezember 1948, als wenige
Monate nach der Einführung der D-Mark auch das „Jedermann-Schuhprogramm“
verfügt wurde. Es mussten Schuhe sein,
die für „jedermann“ erschwinglich und ganz aus Leder sein mussten. Der typische
Ludwig-Erhard-Effekt lag darin, dass die
Fabrikanten und auch der Einzelhandel
verpflichtet wurden, niedrigere Kalkulationen anzusetzen. Bundesweit durften Jedermannschuhe im Kinderbereich nur 19,50 DM und im Damenschuhbereich nur 24,50 DM
kosten. Die Jedermann-Agraffenstiefel
aus Fahlleder waren holzgenagelt und bei Herrenschuhen mit Stoß- und
Absatzeisen versehen.
Der
historische Jedermannschuh ist nicht nur ein besonderes und wertvolles Exponat des großen
Hauensteiner Museums, sondern ist auch ein kleines sozialgeschichtliches Unikat
besonders auch für junge interessierte
Besucher, die am Beispiel der Schuhentwicklung auch zeitgeschichtlich wertvolle Impulse der sich
abzeichnenden rasanten Entwicklung in der
Wirtschaftswunderzeit erkennen können.
Das Deutsche Schuhmuseum Hauenstein, das weltweit größte Museum seiner Art, ist
täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet