„Hänge deine Wurzeln an die Luft“
Die Veranstalter von „Kultur im Dorf“ und Schuhmuseum mussten alle im Museum verfügbaren Stühle
heranschleppen, und das große Foyer des Schuhmuseums war am Dienstagabend bis auf den letzten
Platz besetzt, als „Gedankenschmuggler“ Martin Graff als einfühlsamer und geistreicher Autor, aber auch als
bodenständiger und sympathischer Plauderer über „hiwwe und driwwe“ parlierte
und aus seinen zahlreichen Büchern
rezitierte. Der 68 jährige Weltbürger aus dem Elsass, ( „ich wurde in den letzten Zügen des
schrecklichen Krieges 1944 in Münster im
Elsass geboren“) begeisterte auch in Hauenstein sein Publikum, nicht zuletzt auch, weil der Autor, der Intellektuelle der Philosoph, der Kabarettist,
der Theologe und der Filmemacher mit seiner gewinnenden Ausstrahlung das, was er sagt, auch mit vollem Herzen vorlebt. In seinem profunden Wissen wirkt er dennoch immer bescheiden und macht auch
schwierige Zusammenhänge dem aufmerksamen
Publikum transparent und anschaulich : „Hänge
deine Wurzeln an die Luft und klettere auf die Sterne. („Accroche tes
racines au ciel“). Raus aus der Angst.
Erst dann blickst du über die Grenzen
ins eigene Land, ins eigene Herz“
Und so lebt er auch in „Hääschde“ seine Identität – er kann dieses
einzigartige Wort mit zwei „ää“ wie ein Einheimischer aussprechen - mit Herzblut
vor und begeistert mit seiner deutsch-französischen-elsässischen
Sprachakrobatik, in der sich einfache
Weisheiten ebenso finden wie
subtil versteckte tiefe philosophische Ansichten über „hiwwe und driwwe“. Martin Graff wechselt bei seinem Vortrag als Sprachen- und Gedankenschmuggler blitzschnell
vom Französischen ins Deutsche, und
urplötzlich redet er dann
herzerfrischend ein wunderbares
echtes und unverfälschtes Elsässisch, das auch diesseits der Lauter in der pfälzischen Sprachlandschaft mit
dem Kopf und dem Herzen verstanden wird. Überhaupt die Sprache: „La langue est
la clé de la culture“ („Die Sprache ist der Schlüssel zur Kultur“). Martin
Graff ist nicht nur der
Gedankenschmuggler in der samstäglichen RHEINPFALZ-Glosse, er fühlt sich auch
als permanenter Vorkämpfer für die Sprache ganz allgemein, „Sie ist die
Grundkompetenz für alles Kulturelle “, meint er mit Überzeugung, die ihm jeder im Saal abnimmt.
Graff bezieht sich dabei nicht zuletzt
auch auf die Nobelpreisträgerin für Literatur von 2009,
Herta Müller: “In jeder Sprache sitzen andere Augen“.
Und so blickt der Elsässer
Martin Graff , dem nicht nur Französisch und Elsässisch, sondern auch
ein lupenreines Deutsch in die Wiege gelegt worden ist, visionär in die Zukunft
und macht sich zum glühenden Vorkämpfer für
die Mehrsprachigkeit der kommenden Generationen. Aus einem seiner Bücher
zitiert er einige junge Leute aus ganz Deutschland, die ihre Bilingualität und
Doppelnationalität leben. Er erwähnt in diesem Sinne u.a. auch das
Selbstverständnis eines jungen Hauensteiners, Olivier S., dessen Mutter
Französin und dessen Vater Deutscher ist: „Ich fühle mich im Herzen als
Franzose, in der Seele als Deutscher und
im Geiste als Europäer“.
Auch nach der kurzweiligen
Lesung ist Martin Graff ein vielgefragter Gesprächspartner: Er signiert lange
sein neuestes Buch: „Leben wie Gott im Elsass. Deutsche Fantasien“ (Klöpfer und
Meyer, Tübingen 2012), aus dem er u.a. einen Querschnitt von 48
deutsch-elsässischen Fantasien rezitiert hatte. Und als Theologe war er an
diesem Abend auch gefragt: Die beiden Theologen Wolfgang Maupai (Pirmasens) und
Willi Haus (Hauenstein) erfuhren von dem elsässischen Theologen Martin Graff
von der „Kirche Augsburgischen Bekenntnisses von Elsass und Lothringen“ , wie
sich die
kirchenrechtlichen Verhältnisse im Elsass und in Teilen Lothringens seit der Trennung von Kirche und Staat im Jahre
1905 noch heute für die Kirchen dieser
französischen Region auswirken: Die Geistlichen und Pastoren werden im Elsass
auch heute noch vom französischen Innenministerium bezahlt, auch das ist
einzigartig in Frankreich.
Wie sehr die Lesung Martin Graffs in Hauenstein
Beachtung fand, zeigt auch die Präsenz
von Achim Raetzer als Vertreter der deutsch-französischen Gesellschaft in
Landau und der Anwesenheit von Rektorin Dr. Barbara Schwenk-Kories von der bilingualen
Schule Landau, wobei wir wieder beim sprachlichen Grundanliegen des
Gedankenschmugglers Martin Graff sind.
Ein Heimspiel hatte an diesem Abend
auch ein anderer Hauensteiner: Der ehemalige Intendant des ZDF, Markus Schächter, ist seit vierzig
Jahren schon mit Martin Graff befreundet. Markus Schächter freute sich deshalb
auch ganz besonders, dass Martin Graff
nach Hauenstein gekommen ist: „Auf dem Weg von seinem elsässischen Heimatort Sulzeren zu meinem Wohnort Mainz liegt Hauenstein genau in der geografischen Mitte, auch ein
kleines Zeichen dafür, dass Martins Herz auch für den Schuhort „Hääschde“ schlägt, meinte der
ehemalige ZDF-Intendant bei seiner launigen
Begrüßung . Wobei wir jetzt auch
wieder bei den Schuhen wären: In seinem Gepäck
hatte der Gedankenschmuggler aus dem Elsass nämlich auch ein Paar seiner Schuhe, die er an seine
Landsmännin Marie-France Schächter für die immer größer werdende
Promischuhabteilung des Museums überreichte. Und was stellte sich heraus? – Die
schwarzen Promischuhe von Martin Graff
waren (natürlich) vor einigen Jahren in Hauenstein gekauft worden.

Martin Graff übergibt ein Paar seiner Schuhe an Marie-France
Schächter für die Promiabteilung des Museums
Foto oben:
Dicht gedrängt lauschte das Publikum im Foyer des
Hauensteiner Museums dem „Gedankenschmuggler“ Martin Graff