Ein faszinierendes Schuhthema zum
hundertjährigen Wanderjubiläum
Gesucht: Wanderschuhe im Wandel der
Zeiten
Das wohl
älteste Inserat für eine neue und damals noch
in den Anfängen liegende Volksbewegung
hat den Charme jener Zeit vor 100 Jahren: „Empfehle meine Bergsteigerstiefel mit geschlossener
Staublasche und kräftigen Zwischensohlen, schwarz und braun in Kalb- und
Sportcalf und kariert, Rindleder mit Chromlederfutter auch für Damen und
Knaben, Herren Tourenstiefel in weichem Kalbinleder. 12, 50 Mark. Otto Gerster, Schuhhaus, Landau Telefon 855“.
Gerster nannte diese ersten Wanderschuhe
auch „Pfälzerwaldverein-Stiefel“, wobei wir auch beim Thema wären.
Das
Hauensteiner Deutsche Schuhmuseum sucht
nämlich in enger Kooperation mit dem 100jährigen Pfälzerwaldverein „Wanderschuhe im Wandel der Zeiten“. Die
Anregung zu dieser besonderen Ausstellung, die in wenigen Wochen eröffnet
werden soll, kommt vom Jubelverein, der bekanntlich auch der größte
Pfälzerwaldverein überhaupt ist. Auch der Geschäftsführer des Hauptvereins,
Bernd Wallner (Neustadt) unterstützt die Initiative der Hauensteiner und will
auf das Anliegen aus dem Schuhdorf mitten im südlichen Pfälzerwald auch werbend
hinweisen, zumal diese Sonderausstellung
eine „Ausstellung von unten“ sein soll.
Wenngleich
das Hauensteiner Museum bereits eine größere Anzahl von „Wanderschuhen im
Wandel der Zeiten“ im Fundus hat, will man
alle Wanderfreunde in der Pfalz und darüber hinaus einladen, alte
Wanderschuhe und Wanderutensilien
(Stöcke, Hüte usw.) dem Museum leihweise zur Verfügung zu stellen. Der
Ideengeber zu dieser besonderen Ausstellung, PWV-Vorsitzender Raymund Burkard:
„ Unser 100jähriges Jubiläum will mit den Wanderschuhen, die viele Tausend
Wanderfreunde in mehreren Generationen durch den Pfälzerwald führten, gerade
auch im Schuhdorf und im Schuhmuseum ein Zeichen setzen, denn Wanderschuhe
sind heute mehr denn je zu einem wichtigen Utensil der Wanderer geworden“.
Kein Wunder
auch, dass für die Verantwortlichen des
Museums die gute Idee des 100jährigen Pfälzerwaldvereins eine Steilvorlage war, die wohl erste
Ausstellung dieser Art überhaupt auszuführen. Und erstmals soll bei der Vorbereitung dieser Exposition im
Museum ein Aufruf an alle Wanderer
pfalzweit ergehen: Wer noch auf irgendeine Art auf dem Speicher oder im Keller
alte Schuhe hat, mit denen (auch) gewandert wurde, ist herzlich eingeladen,
diese alten Wandertreter, wie unpraktisch, klobig und unförmig sie auch sein mögen, dem Museum zeitweise zur Verfügung
zu stellen. Die Geschichte der
Wanderschuhe ist nämlich noch nicht sehr
alt und hat sich erst in den letzten Jahrzehnten zu einem eigenen Schuhwirtschaftszweig
entwickelt. „Noch bis in die fünfziger und sechziger Jahre gab es diese
Schuhform noch überhaupt nicht“, meint Ernst Tillmann (88) aus Viersen, einer der
profundesten Kenner der deutschen Schuhkultur und Namensgeber der Hauensteiner „Ernst
Tillmann-Sammlung“ mit allein 3 888 Paar Schuhen. Man habe
bis zur Entwicklung einer eigenen großen Wander- und Sportschuhindustrie
in den letzten Jahrzehnten „Schuhwerk
jeder Art“ benutzt, um die immer stärker werdende Lust am Wandern zu stillen. Anfänglich seien dies auch
Halbschuhe und Arbeitsschuhe gewesen. „Wochentags hat der Wanderer die
„Wanderschuhe“ bei der Arbeit oder auf dem Feld
getragen, am Sonntag schnürte man
diese Allzweckschuhe zu Wanderstiefeln, meinte Tillmann, in dessen
Sammlung sich auch kombinierte Wander- und Skischuhe
befinden, wie wir sie aus den vierziger Jahren und in der Nachkriegszeit her kennen. „Die Wanderschuhe waren lange
Jahrzehnte Allzweckschuhe inmitten von Notzeiten, bis in der
Wirtschaftswunderzeit eine neue Schuhform wurde, die heute riesige Umsätze
schreibt., meint Tillmann.
Wenn man
noch weiter zurückgeht, wird der „Wanderschuh im Wandel der Zeiten“ noch
augenfälliger. Der Leiter der Hauensteiner
Mittelalter-Schuhabteilung Frank Becker (40) aus Saarbrücken: „Im
Mittelalter gab es dieses Genre überhaupt nicht. Selbst die Santiago de la Compostela-Pilger des
Mittelalters hatten kaum strapazierbare
Schuhe an“. Becker vermutet, dass die mittelalterlichen Pilger sich entlang des
Pilgerwegs sich ihre „Schuhe“ immer
wieder flicken ließen oder sich mehrere Paare neu erstanden. „Das
Pilger-Schuhwerk war den Strapazen der
monatelangen Pilgerfahrt nicht angemessen“, sagte der mittelalterliche Schuhspezialist aus saarbrücken. Dagegen verfügt das Museum über ein Paar Pilgerwanderschuhe, die der französische
St.Jakobspilger und Leiter des
Schuhmuseums St. André de la Marche, André Dixneuf (73) auf seinem rund 1 800 Kilometer
Pilgerlauf mehrere Monate tagtäglich am
Fuß hatte, „ich lief am letzten Tag so gut wie am ersten“, warf
André Dixneuf ein Schlaglicht auf
die höchste Qualität heutiger Wanderschuhe.
Bei den eigenen
Recherchen zur Jubiläumsausstellung im
Jahrhundertjahr des Hauensteiner Pfälzerwaldvereins stieß das Museum auch auf eine ganz besondere
Komponente der Wanderer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis nach dem
Krieg: Die Wandergruppen, die sonntags ihre teilweise schon 15 bis 20 Kilometer
Wanderungen in den Pfälzerwald zurücklegten, waren sehr akkurat gekleidet,
viele Männer sieht man mit „Krage un
Schlopp“ und was besonders auf alten Abbildungen zu sehen ist, die Schuhe sind
meist auch der besseren Art, meist nicht so sehr tauglich für den eigentlichen
Wanderzweck . Das Museum verfügt über zahlreiche solcher alten Fotos, die
zeigen, dass das Wandern auch innerhalb des Vereins ein gesellschaftliches
Ereignis war, zu dem auch eine entsprechende Kleidung zählte.
Ein halbes Jahrhundert
genügte aber, um innerhalb der Wander- und Sportbewegung eine revolutionäre
Entwicklung zu schaffen, wobei
Schuhmodelleure, Wissenschaftler und Ärzte immer bessere und leichtere
„Wanderschuhe“ kreierten. An dieser
rasanten Entwicklung zum sportlichen bequemen und leistungsfähigen modernen
Wanderschuh ist übrigens auch eine
Hauensteiner Schuhfabrik deutschlandweit an vorderer Stelle beteiligt: Die Firma „Lugina“, die heute mit großem Erfolg im
benachbarten Schwanheim produziert, war schon vor Jahrzehnten auf der richtigen Wanderspur, als sie
die Marke „Waldläufer“ zu einer der
bekanntesten Marken avancieren ließ, die
auch heute noch höchstes Ansehen genießt.
Je intensiver
man sich mit dem Thema „Wanderschuhe im Wandel der Zeiten“ befasst , um so
spannender wird dieses besondere „Schuhkapitel“. Um darüber noch mehr zu wissen,
bitten der Pfälzerwaldverein und das Schuhmuseum alle Wanderer aus der ganzen
Pfalz mitzuhelfen, bis zum 5. April Schuhe, die man im weitesten Sinne als
ehemalige Wanderschuhe bezeichnen kann – auch wenn man sie als solche nicht
mehr erkennt - zur Verfügung zu stellen. Manchmal hängt auch noch eine eigene
Geschichte an den Wandertretern, die nicht selten mitten bei der Wanderung
ihren Geist aufgaben. Das ist das Salz in der Suppe dieser besonderen Ausstellung, bei der
natürlich auch „prominente“ Wanderschuhe von Helmut Kohl, Luis Trenker und
Heiner Geißler zu sehen sein werden. Aber
die einfachen Wandertreter der einfachen Wanderer aus 100 Jahren erzählen viele spannende und lebendige Geschichten zu einer ebenso lebendigen
Sonderausstellung.
